AHF kritisiert 7-Punkte-Plan der Landesregierung für das Bahnhofsviertel

Frankfurt den 13.03.25 - Statement: die AHF e.V. kritisiert 7-Punkte-Plan der Landesregierung für das Bahnhofsviertel: Soziale Lösungen statt Verdrängung gefordert!
So begrüßenswert es ist, dass sich der hessische Ministerpräsident als Frankfurter Bürger mit den Verhältnissen im Frankfurter Bahnhofsviertel auseinandersetzt und endlich – so möchte man sagen – auch eine landespolitische Mitverantwortung für die dortigen Zustände anerkennt, so wirklichkeitsfremd und unterkomplex, geradezu verführerisch falsch sind die monokausalen Erklärungsmuster und die daraus abgeleiteten Maßnahmenpläne, mit denen er angeblich die Situation im Bahnhofsviertel verbessern will.
Die simplen Versuche, ein so komplexes Thema wie Drogen und Sucht allein den süchtigen Individuen zuzuschreiben und sie für die unbestreitbar unmenschlichen Zustände verantwortlich zu machen, sind nicht nur fahrlässig, sondern auch in jeder Hinsicht unangemessen.
Das Bahnhofsviertel ist kein isoliertes Biotop für Drogensucht und Kriminalität, sondern ein Verkehrsknotenpunkt – wie alle urbanen Handelszentren mit Bahnhöfen oder Häfen. Es weist allein durch seine Funktion als Eingangstor zur Stadt ein hohes Aufkommen an Menschen und unterschiedlichen Interessen auf. Das gilt sowohl für Waren als auch für Personen.
In solchen Vierteln – ob man das bedauert oder begrüßt – siedeln sich stets dienstleistungsorientierte Branchen aus allen Milieus an, die auf die Nachfrage von Durchreisenden zugeschnittene legale wie illegale Angebote bereithalten. Für jedes Bedürfnis – auch für solche, die durch falsche Versprechungen erzeugt werden – gibt es Anbieter und Abnehmer. Das Frankfurter Bahnhofsviertel bildet hier keine Ausnahme.
Zudem wird es oft als urbanster und multikulturellster Stadtteil der Stadt gepriesen und von zahlreichen Touristen wie Einheimischen für unterschiedlichste Freizeitaktivitäten genutzt. Auch das sollte mittlerweile bekannt sein.
Zur Frage der Nutzung des öffentlichen Raums sei angemerkt: Deutschland ist ein freies und freizügiges Land. Menschen dürfen – solange sie sich an Recht und Gesetz halten und die Rechte anderer nicht verletzen – den öffentlichen Raum nach eigenem Ermessen nutzen. Das gilt auch für Gruppen, die nicht den bürgerlichen Normvorstellungen entsprechen.
Hinzu kommt, dass der Stadtraum in Frankfurt stark verdichtet und das verfügbare Raumangebot begrenzt ist. Die beschriebenen Problemlagen treten daher auf engstem Raum geballt auf.
Insofern ist einer der zentralen Aussagen des Ministerpräsidenten aufs Schärfste zu widersprechen: Die Situation im Frankfurter Bahnhofsviertel ist nicht deshalb ein Brennpunkt, weil die Suchtkranken wie ein Magnet auf Dealer, Kriminelle und Hilfseinrichtungen wirken. Hier wird Ursache und Wirkung auf unverantwortliche Weise verdreht.
In der politischen Debatte ist zunehmend die Tendenz zu beobachten, hochkomplexe Problemlagen zu simplifizieren und mit scheinbar einfachen, aktivistischen Maßnahmen lediglich Symptome zu bekämpfen, anstatt sich der mühsamen, aber notwendigen Aufgabe einer fundierten Analyse nach fachlichen Kriterien zu unterziehen.
Niemandem wird damit geholfen. Vielmehr folgt die so propagierte Politik dem fatalen Motto: „Was man nicht sieht (durch Vertreibung, Zerschlagung, Verlagerung von Problemen), existiert nicht.“ Problem gelöst.
Diese Strategie soll Handlungsfähigkeit suggerieren, wo in Wahrheit differenzierte Analyse und ein umfassendes Maßnahmenpaket erforderlich wären.
Schon die simple Feststellung „Der Markt entsteht durch Nachfrage“ greift – bezogen auf Sucht und Drogenmissbrauch – viel zu kurz. Die Nachfrage ist untrennbar mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft, in denen sich immer mehr Menschen dem Drogenmarkt der falschen Versprechungen ausgeliefert fühlen.
Dieser Markt folgt eigenen Gesetzen und bildet selbst innerhalb der klaren Grenzen des Rechtsstaats illegale Strukturen aus.
Hier stellt sich die dringende Frage, inwieweit der Staat nachhaltige und verlässliche Konzepte zur Reduzierung oder Zerschlagung illegaler Strukturen entwickelt. Offensichtlich versagt das System an dieser Stelle. Es ist derzeit nicht in der Lage, der organisierten Kriminalität effektiv entgegenzutreten. Das Zusammenspiel von Exekutive, Judikative und Legislative funktioniert nicht hinreichend und bietet dem illegalen Markt zu viel Spielraum.
Hier anzusetzen wäre Pflicht und Kernaufgabe der Politik. Insofern müssen alle Überlegungen darauf abzielen, den illegalen Markt wirksam zu bekämpfen – dies ist eine der zentralen hoheitlichen Verpflichtungen der gewählten politischen Vertreter. Notwendig sind hier dringend Verbesserungen, um die Zusammenarbeit der handelnden Institutionen (Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz) effizienter zu gestalten.
Stattdessen werden die Opfer der Sucht – Menschen, die durch ihren Substanzkonsum der eigenen Selbstwirksamkeit beraubt wurden – zu den eigentlichen Schuldigen erklärt. Ihre verelendete Existenz dokumentiert jedoch nicht ihre persönliche Schuld, sondern vielmehr das Versagen einer konsequenten staatlichen Bekämpfung illegaler Märkte.
Ebenso geraten Organisationen und Einrichtungen in die Kritik, die suchterkrankten Menschen qualifizierte und fundierte Hilfe anbieten, Brücken in ein Leben ohne Substanzkonsum bauen und soziale Reintegration ermöglichen. Sie werden zu Unrecht verdächtigt, als Anziehungspunkt für weitere suchtkranke Menschen aus dem Umland oder gar aus anderen Regionen zu fungieren.
Hilfe muss dort geleistet werden, wo sie gebraucht wird – nicht an irgendwelchen Orten, an denen die Betroffenen gar nicht sind.
Die Einrichtungen der Überlebenshilfe sind genau jene Brückenpfeiler, deren Bedeutung der Ministerpräsident offenbar leugnet. Hier scheint er auf einem Auge blind zu sein.
Die Träger der Drogenhilfe agieren im Verbund sowohl mit drogenszenenahen als auch drogenszenefernen Einrichtungen – jeweils angepasst an die unterschiedlichen Problemlagen und Bedarfe. Dabei berücksichtigen sie die vielfältigen individuellen Möglichkeiten, die unter den Bedingungen akuter Drogensucht existieren.
Seit vielen Jahren reagieren wir auf Veränderungen innerhalb der Szene, auf Entwicklungen des Drogenmarktes und erarbeiten kontinuierlich neue Interventionsstrategien. Alles geschieht unter der Prämisse, dass es viele Wege in die Sucht gibt – und deshalb auch ein differenziertes Angebot an Wegen aus der Sucht notwendig ist.
Der sogenannte Frankfurter Weg hat genau das geleistet, was nun infrage gestellt wird. Er hat nachweisbare Erfolge erzielt – darunter die niedrigste Todesfallrate unter Drogenabhängigen in ganz Deutschland. Und genau das ist die Voraussetzung dafür, dass weiterführende individuelle Hilfen überhaupt möglich werden.
Es ist beschämend, dass gerade unsere Mitarbeitenden – die unter schwierigen Bedingungen, genau wie Polizei und Rettungskräfte, täglich mit großem persönlichen Einsatz ein funktionierendes Hilfs- und Betreuungssystem aufrechterhalten – für ihre Arbeit angegriffen werden. Sie verhindern, dass Menschen dem Elend und der Gesetzlosigkeit der Straße überlassen werden. Sie bieten Überlebenshilfe und Perspektiven, dort, wo der Staat seiner Aufgabe nicht nachkommt.
Anstatt diesen engagierten Menschen fehldiagnostische Kritik entgegenzubringen, wäre ein anderer Umgang angebracht: Lob, Dankbarkeit und vor allem ein erkennbarer politischer Wille, die eigene landespolitische Verantwortung endlich wahrzunehmen. Gerne auch im Schulterschluss mit uns. Dazu reichen wir die Hand.

Achim Teipelke
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